Früher dachten wir vielleicht, viele E-Mails seien ein Zeichen unserer eigenen Wichtigkeit. Aber heute spüren viele von uns die Last der E-Mail-Flut. Die Bearbeitung kostet täglich eine Menge Zeit und sorgt regelmäßig für Frust und Überstunden, während die wirklich wichtigen Arbeiten darunter leiden. Ganz zu schweigen von der ständigen Ablenkung und Unterbrechung der Konzentration.
Doch sollte in Zeiten agiler Zusammenarbeit nicht eigentlich alles besser und effizienter werden?? Fragst du dich, ob es normal ist, dass wir so viele E-Mails empfangen (und offensichtlich auch versenden)? 🤔📧
Meine Sicht als Agile Coach und Teamentwicklerin:
Wie viele E-Mails sind normal?
Ich will hier nicht festlegen, was „normal“ ist. Denn oft endet das in einer Suche nach messbaren Kriterien. Liege ich über dem Durchschnitt oder darunter? Aber das ist eigentlich nicht entscheidend. Viel wichtiger ist doch die Frage, ob dich diese Situation belastet und was wir dagegen unternehmen können. Lass uns also lieber über „typisch“ sprechen.
Wenn ich einen Blick in den Posteingang von Teammitgliedern werfe, dann sehe ich oft 3- oder sogar 4-stellige E-Mail Zahlen. Natürlich sind nicht alle ungelesen, aber eben doch nicht „fertig“. Schaue ich auf die teilweise sehr ausgeklügelte Ordnerstruktur, dann stehen auch dort fette Zahlen, die sagen: Hier liegen noch ungelesene E-Mails rum.
Häufig zählen Führungskräfte zu den Personen mit den meisten E-Mails, aber sie haben sicherlich kein Monopol darauf. Und unabhängig von der Rolle, ist dieses anhaltende Mahnmal der unerledigten Arbeit einfach frustrierend.
Zurück zu der Frage: Sind so viele E-Mails typisch? Sollte nicht mit der Einführung von Agilität alles irgendwie besser werden? Gefühlt ist es schlimmer geworden! Die Antwort lautet: ja und ja.
Ein typisches Phänomen auf der agilen Reise
Agilität kann oft einen regelrechten Kommunikationsboom innerhalb eines Teams auslösen. Unternehmen, die den Weg der agilen Transformation einschlagen, wollen unter anderem Führungskräfte entlasten und den Teams mehr Verantwortung übertragen. Doch stattdessen finden sich Führungskräfte häufig in endlosen operativen Diskussionen wieder, während das Team verzweifelt versucht, seiner neuen Verantwortung gerecht zu werden.
Im Postfach sieht es dann oft so aus:
- E-Mail-Ketten mit vielen RE:/AW: Betreffzeilen
- Im CC-Feld sind immer mehr Leute
- Antworten auf veraltete E-Mails stiften Durcheinander
- unverbindliche oder fragende Aussagen, vorzugsweise im Konjunktiv (müsste, könnte, sollte)
Natürlich sind inzwischen viele Teams auch dazu übergangen, diese Diskussionen auf andere Plattformen zu verlagern (z. B. Microsoft Teams Chat). Aber das ist oft nur eine Teillösung. Die vielen Kommunikationswege machen es den Teammitgliedern sogar schwerer, den Überblick zu behalten. Die Schnelligkeit des informellen Chats führt mitunter dazu, dass noch mehr Schlagabtausch stattfindet. Einige Mitarbeitende fühlen sich fast abgehängt, weil sie im Gruppenchat nicht sofort reagieren können, so wie ihre Kollegen.
E-Mails bloß zu verlagern, reicht nicht
E-Mails in ein anderes Tool zu schieben, kann zwar kurzfristig den E-Mail-Stress lindern. Aber dann müssen die Teammitglieder viel mehr Kanäle im Auge behalten und bedienen. Wenn hier keine klaren Vereinbarungen getroffen werden, wie diese Werkzeuge in der Zusammenarbeit eingesetzt werden sollen, dann sind Suchfrust, ständige Benachrichtigungen, doppelte Daten, fehlende Zugriffsberechtigungen und Datengräber vorprogrammiert. Und nicht zu vergessen, der Stress im Team wegen fehlender Informationen und Eskalationsmeetings! Kurz gesagt, es wird reichlich Brennstoff produziert, der die Kommunikationslast weiter anheizt. 🔥
Darum sollten Teams diesen Teufelskreis unbedingt durchbrechen und ein passendes Collaboration Konzept entwickeln. In einem solchen Konzept vereinbaren sie, wie sie die verschiedenen Tools nutzen und welche Erwartungen sie an die Nutzer haben. Es handelt sich hier nicht um eine technische Bedienungsanleitung, sondern um organisatorische Vereinbarungen. Häufig können hierdurch auch leidige Diskussionen wie „Hol- oder Bringschuld“ beigelegt werden.
Vor allem bietet es dem Team die Chance, asynchrone Zusammenarbeit zu fördern. So gewinnen alle Teammitglieder wieder mehr Kontrolle über ihren Arbeitsalltag und können sich ihren Aufgaben fokussiert widmen.
Deshalb berücksichtigt ein kluges Collaboration Konzept unter anderem folgenden Faktoren:
- Wichtigkeit vs. Dringlichkeit
- Ziel der Kommunikation
- Langfristigkeit der Information
- Komplexität der Kommunikation
- Beteiligte Personen
Hieran merkst du bereits, dass ein Collaboration Konzept weit mehr als nur die Zuordnung von Tools ist (und daher die Einführung von Collaboration Software niemals nur ein IT-Projekt sein sollte). Denn wir brauchen auch passende Methoden, um Kommunikation bzw. Information zu strukturieren und zu organisieren.
Dieses Konzept wird in einfacher Form dokumentiert – denn schließlich sollen auch neue Teammitglieder sich schnell zurechtfinden können. Und es wird regelmäßig aktualisiert, um die Erfahrungen des Teams und neue technische Möglichkeiten einzubeziehen.
Nicht nur auf die Darreichung, sondern auf den Anlass schauen
Das Collaboration Konzept ist ein wichtiger gedanklicher Schritt zur nächsten Ebene: nämlich, wenn wir den Ursachen für die stark angestiegene Kommunikationslast im Team auf die Schliche kommen wollen. Wie schon erwähnt, ist die Art, wie wir Nachrichten verpacken (ob als E-Mail, Chat, Planner-Aufgabe oder Meeting) zwar wichtig, aber allein keine Lösung.
Wenn ich mir mit meinen Kunden ihr Kommunikationsverhalten anschaue, stelle ich folgende Fragen:
- Warum teilst du Nachrichten/Informationen dieser Art?
- Was brauchst du von den Empfängern?
- Was soll im Idealfall nach dieser Kommunikation anders sein als vorher?
💡 Betrachte doch einmal deine nächste Nachricht unter diesen Gesichtspunkten. Möglicherweise dauert das Verfassen der Nachricht im ersten Moment etwas länger – aber die Gesamtkommunikation wird zeitsparender und effektiver.
Wenn sich der Absender bewusst ist, was der konkrete Zweck seiner Nachricht ist, dann wird diese für alle Beteiligten greifbarer und damit auch nützlicher. Endloses Pingpong aus Gegenfragen, Vermutungen und Missverständnissen kann so wirkungsvoll minimiert werden, genauso wie „man-müsste-mal“ Diskussionen. Übrigens hilft dieses gedankliche Schema auch sehr gut, um Jour Fixe Meetings zu straffen 🚀
Warum die Kommunikation in der agilen Transformation explodiert
Jetzt will ich den Bogen schlagen zur agilen Transformation und warum ein drastischer Anstieg der Kommunikation so häufig vorkommt. Dieses Phänomen tritt häufig dann auf, wenn Hierarchien abgebaut werden sollen und die Organisation zu einer verteilten Führung übergeht, aber das Fundament im Team (einschließlich der Führung) dafür noch nicht ausreichend vorbereitet ist.
Hier ein paar Beispiele, die zu einem massiven Anstieg an Kommunikation führen können:
- 💥 Mikromanagement:
- Die Führungskraft (oftmals Experte auf ihrem Gebiet) möchte genau nachvollziehen, wie die Mitarbeiter die Aufgabe ausführen, anstatt das Ergebnis zu delegieren.
- Ein Mitarbeiter sucht ständig Bestätigung von der Führungskraft für seine Schritte oder Entscheidungen.
- Es werden häufige Meetings eingeführt, um kontinuierlich den Fortschritt zu überprüfen.
- 💥Angst, eine Entscheidung zu treffen bzw. die Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen (Fehlerkultur, fehlende psychologische Sicherheit):
- Mitwissende sind Beteiligte – darum informiere ich einfach alle und sichere mich ab.
- Ich befürchte, dass andere meine Entscheidung kritisieren oder kippen.
- 💥Die Annahme, dass alles gemeinsam diskutiert und entschieden werden muss, weil alle „auf Augenhöhe“ und gleichberechtigt sind:
- Jeder stimmt sich mit jedem ab.
- Entscheidungen werden so lange besprochen, bis alle einverstanden sind.
- 💥Agile Meetingformate werden neu eingeführt „weil man das so macht“
- In täglichen Stand-ups wird bereits schriftlich Ausgetauschtes erneut besprochen.
- Bisherige Formen des Austauschs werden dadurch nicht abgelöst.
- 💥Rollen sind vage formuliert oder werden nicht akzeptiert:
- Rollen sind ein dynamisches Konzept und entscheidend in agilen Organisationen.
- Sie umfassen Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen und müssen klar definiert sein.
- Unklarheit über Zuständigkeiten (auch verteilte Führung braucht Führung) mündet in chaotischer Kommunikation.
Diese Probleme sind typisch in der agilen Transformation und können sich entsprechend in einem überhöhten Kommunikationsaufkommen niederschlagen. In solchen Fällen wäre es fatal, bloß die Symptome zu bekämpfen und sich lediglich Gedanken über die besten Kommunikationstools zu machen. Mithilfe von Teamentwicklung können Führung und Team diese Klippe jedoch überwinden.
Freiraum für Teamentwicklung schaffen durch E-Mail- und Aufgabenorganisation
Doch bevor ich mit einem Team an seiner Entwicklung und einem Collaboration Konzept arbeiten kann, ist es oft notwendig, den Teammitgliedern zunächst Luft zu verschaffen. Denn wenn die E-Mail Flut bis „Oberkante Unterlippe“ steht, dann bleibt selten Raum und Energie, nebenher noch neue Prozesse einzuführen oder Zeit für Retrospektiven zu finden. An dieser Stelle ist es dann doch sinnvoll, vorübergehend die Symptome zu mildern. Meine Erfahrung zeigt, dass viele Outlook-Nutzer selbst nach vielen Jahren der Nutzung nur an der Oberfläche der Möglichkeiten kratzen.
Ein erster Schritt ist es, sie mit Struktur und Automatisierung zu unterstützen, um nicht nur ihren Posteingang, sondern auch ihren Kopf wieder freizubekommen. Außerdem lernen sie, wie sie die Outlook Kalender- und Aufgabenfunktionen richtig einsetzen und mit Zeitmanagement-Techniken kombinieren können. Viele Mitarbeiter haben zwar in ihrer Laufbahn Zeitmanagement-Seminare besucht, doch der Praxistransfer – nämlich die Verknüpfung mit Outlook – hat schlichtweg nicht stattgefunden.
Auf diese Weise schaffen wir wieder Freiräume im Kalender, die für die gemeinsame Teamentwicklung genutzt werden können. Zeitmangel ist ein häufiger Grund, weshalb Teamentwicklung nicht stattfindet! Außerdem sind die Fähigkeit zur Selbstführung und -organisation wichtige Grundlagen für weitere Entwicklungsschritte des Teams, wenn wir die Ursachen angehen, die die typischen Probleme der agilen Transformation bereiten.